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Was bleibt.

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Im Bett liegen, Kopf an Kopf und irgendwie versuchen, klar zu kommen.

Ich-will-das-nicht. Warum? Wo kommt so viel Pech her? Ich will nicht immer nur Pech haben. Alles ist blöd. Alles tut weh. Mir schlägt das so über dem Kopf zusammen Mama, dass ich keine Luft mehr kriege und gar nicht mehr denken kann. Ich hab dich lieb. Bleib bei mir. Halt mich fest. Ich kann nicht liegen, ich kann nicht schlafen, ich kann nicht wach sein. Ich habe Angst vor meiner Traurigkeit. Ich verstehe das alles nicht, ich habe das Gefühl viel zu klein zu sein um überhaupt damit zurecht zu kommen.

Den blonden Strubbelkopf streicheln. “Es wird gut werden” als Mantra dabei säuseln. Auch zugeben, dass ich vom “wie” keine Ahnung habe. Aber zu bedenken geben, dass uns das noch nie gehindert hat, mit etwas zurecht zu kommen. Wenn es das Leben einem so schmutzig besorgt ist das immer learning by doing. Wir kriegen das hin. Wir kriegen das Einschlafen hin, das Aufstehen, den Tag heute. Morgen auch. Und am Tag drauf. Und am Tag darauf. Und irgendwann Kind wirst du feststellen: Wir haben viele Tage hingekriegt und es ist ganz langsam und unscheinbar und leise ein wenig besser geworden. Und dann wirst du mir glauben, dann wirst du wissen: es wird wieder gut. Versprochen.

Wir haben so viel geschafft. Vorher schon, ehedem. Und gestern, gestern auch. Und am Montag, als wir in der Schule waren und gesagt haben, was passiert ist. An dieser Stelle lasse ich sämtliche Klein-ThisIs-Lehrer einmal hochleben. Und unseren Schulleiter. Doppelt sogar. Auch wenn sie es vermutlich zumindest hier im Blog nicht erfahren werden. Verständnis, Anteilnahme, sogar Armenehmer und Tränen haben sie für mein Kind gehabt. Solche Lehrer, so eine Schule haben wir. Eine Dorf-Hauptschule. Staatlicher könnte sie nicht sein. Und besser für uns auch nicht. Danke.

Während ich gestern die Säbelzahnlöwenmutter gegeben habe und uns alle drei so gut ich konnte durch diesen Tag gebracht habe bin ich heute einfach waidwund. Die Anstrengung war gigantisch, und so wie gestern die Kraft da war ist sie heute weg, die Migräne hat sich in meiner linken Schädelseite festgebissen und nagt mir jeden Elan weg.

Menschen, die sich in zehn Jahren nicht einen Tag um dieses Kind geschert haben wollten gestern mitleidig seinen Kopf streicheln. Menschen, die mich gerügt, auf mich herabgeblickt und abgeurteilt haben als ich diesen Mann verlassen habe wollten mir ihr Beileid aussprechen. Meinten, sich eine Meinung, ein Bild, eine Ansage erlauben zu können.

Ich habe sie jeweils kurz, bestimmt und höflich gebeten, mich und das Kind samt großem Kind zu verschonen. Habe sie kurz in Kenntnis gesetzt, dass dieser Tod weder plötzlich, noch überraschend, noch unvorhersehbar war und ich an geheucheltem Interesse oder ihrem schlechten Gewissen wem auch immer gegenüber nicht das geringste Interesse habe. Und abgesehen davon mich hier gedenke um mein Kind zu kümmern, das am Grab seines Vaters steht und deswegen auch keine Zeit und Energie habe, mich weiter mit ihnen zu unterhalten. Wollte dann auch niemand mehr.

Dass ich mit Priestern und dem ganzen Primborium wenig anfangen kann sagte ich ja an anderer Stelle. Schon bei der anderen Beisetzung, kürzlich, musste ich mir einen vom Leib halten der mir mit der Argumentation kam, dass am Grab doch alles vergeben und vergessen sei. Für mich ist ein Leben mit dem Tod schlicht zu Ende. Und mein Verstand und die Erfahrung sagen mir, dass Taten auch noch weiter wirken, wenn der Ausführende schon nicht mehr ist. Vergeben und Vergessen sind unabhängig davon, ob und wann eine Person stirbt. Ein gedeihliches Miteinander zu Lebzeiten ist erstrebenswert, Heilsversprechungen sind nichts für mich. Ungeachtet dessen respektiere ich, wenn andere Menschen einen Nutzen für sich aus dieser Religionssache ziehen können. Und natürlich war gestern auch ein Priester anwesend. Natürlich mit kleiner Predigt und dreiundzwanzigstem Psalm, den sogar ich schön finden kann. So ganz unreligiös-lyrisch. Jedenfalls sind dem Gottesvertreter die Gesichtszüge ziemlich entgleist, als er die Kinder gesehen hat.

Klar. Der Teil der Herkunftsfamilie des Mannes, der die Beisetzung geregelt hat sah sich ausser Stande oder war nicht Willens, mich (oder besser: das Kind durch mich) zu informieren. Man hat mit unserer Anwesenheit nicht gerechnet und die Existenz des Kindes unter den Teppich gekehrt. Nicht nur der Priester hatte kurzfristig Mühe, seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Der uninformative aber organisatorisch begabte Teil der Verwandtschaft blieb dann aber nach der … wie nennt man das? Ist das eine Messe? Ein Gottesdienst? Sagen wir: nach dem Ritual … so lange stehen und wäre tatsächlich bereit gewesen mit mir zu diskutieren, was ich dem Kind ersparen wollte, dass ich mit dem kleinen Kind im Arm und dem großen an der Hand als erste dem Sarg hinterher gelaufen bin.

“Hart” beschreibt diese Sache nur unzureichend. “Knüppelhart” ist etwas besser, aber mir ist noch kein Wort eingefallen, das so etwas passend beschreibt. Es gibt aber Dinge, die ich bitte nie wieder tun will. Dieses Erlebnis steht ziemlich an der Spitze.

Danach, nachdem ein Brief, eine Glasperlenkette und gelbe Tulpen in die Erde gefallen sind, nachdem ein Porzellanengelchen bei der am nächsten stehenden Sargträgerin (!) zu treuen Händen und zum Aufstellen auf der Grabplatte gegeben wurde sagte das Kind: “Mama, ich will hier nur noch weg.” Und die Mama sagte: “Dann gehen wir weg.” Und so gingen wir direkt vom Friedhofsgelände, gingen zur Ubahn, fuhren zum Bahnhof, warteten eine Stunde bei heisser Schokolade und fuhren nachhause. Weg von da. Heim.

Das Kind schlief innert Minuten mit dem Kopf auf meinem Schoß. Ich habe seinen Kopf gestreichelt, habe es mir angesehen und bis heute fasse ich nicht, was und wie das wird und welch gigantisch große Aufgabe ich da habe. Mutter-sein. Allein. Mutterseelenallein. Wie vorher auch.

Denn: Die Aufgabe an sich war vorher nicht kleiner.

Er war, daran besteht nicht der geringste Zweifel, langjährig und schwerst alkoholkrank. Er war psychotisch, schizophren und ja: auch gefährlich. Diese Gefahr ist jetzt gebannt. Keine Anrufe mehr. Keine Sorge um Schusswaffen, Straftaten, Wahnsinn mehr. Keine Angst vor Übergriffen, Wahnsinn, Mindfuck und Psychoterror. Er hat in meinem und dem Leben des Kindes und der Kinder eine Schneise der Verwüstung geschlagen und Leid, Bitterkeit und Verzweiflung über uns ausgegossen. Nein, kein Verlust für mich. Keine Dinosaurier, keine Gefährdung anderer im Straßenverkehr, keine Promillerekorde. Kein “Sie müssen dem Umgang fördern, koste es was es wolle” mehr.

Kein Bitten mehr um Gehör bei “zuständigen Stellen”, die ich heute im übrigen samt und sonders sie in meiner Erreichbarkeit liegen über den Erfolg ihrer Arbeit informiert habe. Einzig die Dame vom Jugendamt, die geht mir noch ab.

 

 

 


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