Quantcast
Channel: this is blog » Trauer
Viewing all articles
Browse latest Browse all 10

“schreiben Sie mir doch mal was auf” (sämtliche triggerwarnungen, alles scheiße, deine ellie)

$
0
0

“X wurde als einziges Kind von Vater Y und Mutter Z in A geboren.

Die Eltern betrieben eine der damals größten Metzgereien in A, in der 1A-Einkaufslage der Stadt. Dort besaßen sie auch ein relativ großes Haus, das die Mutter nach dem Tod des Vaters erbte. Dieses Haus verkaufte die Mutter wohl einige Jahre später und hält dort ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Für X war diese Tatsache ein ständiger Quell der Frustration,  da er von dem in diesem Haus gebundenen und nicht unerheblichen Vermögen nicht profitieren konnte. Die Mutter hat das Geld angeblich „durchgebracht“, was mich aufgrund des von ihr gelebten Stils nicht verwundern würde, man ist und war immer sehr stark auf die Außendarstellung bedacht.

Dazu passt auch die Geschichte, die mir X über seinen Vater erzählt hat: Der Vater muss wohl ein recht schwieriger Mensch gewesen sein, X berichtete auch, dass er an einer Schizophrenie litt.

Der Vater Y war Mutter Z und Sohn X gegenüber regelmäßig physisch und psychisch gewalttätig. Als X 14 oder 15 Jahre alt war muss eine solche Episode dergestalt eskaliert sein, dass die Mutter nach einer Attacke mit einem schweren Kristallaschenbecher bewusstlos zu Boden ging. In Folge dieses Ereignisses wurde X sehr zeitnah auf ein Internat geschickt, er erhielt also eine hochwertige gymnasiale Ausbildung in einem noblen Umfeld, fühlte sich dort aber als „Unterschichtskind“, angeblich waren seine Mitschüler weit besser gestellt, auch der Sohn der *bekannte Industriellenfamilie einsetzen* soll einer seiner Klassenkameraden gewesen sein. X fühlte sich einerseits ausgeschlossen, hatte aber andererseits den unbedingten Wunsch, zur besseren Gesellschaft zu gehören. Diesen Wunsch bekam ich in der Zeit , die ich mit ihm verbracht habe oft zu spüren.

Die Mutter habe ich als eine einerseits sehr verzweifelte, andererseits starrsinnige und dominante Person erlebt und das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn als sehr konflikthaft. Sie hatte und hat wohl noch ebenfalls ein Alkohol- und Medikamentenproblem. Sie war im Jahr 2001 nach den Anschlägen auf das WTC einige Zeit in der geschlossenen Abteilung nachdem sie die Polizei in ihre Wohnung gerufen hatte und gemeldet, dass sich mehrere Al-Kaida-Kämpfer in ihrer Wohnung verschanzt hätten und ein Anschlag auf die Fußgängerzone unmittelbar bevorstünde.

Alles, was man in der Wohnung fand war meine sturzbetrunkene Schwiegermutter  im Negligé auf dem Sofa liegend mit einer Flasche Jack Daniels auf dem Tisch und fragendem Blick: Sie wusste nicht mehr, dass sie die Polizei gerufen hatte und auch nicht, warum.

Es muss vor meiner Zeit, in den 90er Jahren eine ähnliche Posse gegeben haben, da stand sie im Bademantel nächtens am Check-In und wollte nach Madeira fliegen.

Betreuung und Begutachtung habe ich in der Ehezeit mehrfach empfohlen, wurde aber weder von ihrer Seite noch von Seiten der Restverwandtschaft gewünscht. Sie hängt einer kruden Sekte an, kann mit Engeln sprechen und auch mit ihrem verstorbenen Exmann Y. Z hat seit fünf Jahren angeblich das Haus nicht mehr verlassen und hielt es auch nicht für nötig, auf der Beerdigung ihres Sohnes X zu erscheinen, was sicher auch der schweren und fortgeschrittenen Krankheit liegt, an der sie schon lange leidet.

X musste nach dem Abitur im elterlichen Betrieb eine Lehre absolvieren um auf die Übernahme des Unternehmens vorbereitet zu sein. Nach dem frühen Tod des Vaters Y  gründete X zusammen mit gut betuchten Verwandten ein Unternehmen, mit der er in den frühen Neunziger Jahren wohl eine ziemlich beachtliche Pleite hingelegt und nicht unerheblich Schulden „behalten“ hat. Er war vor der Ehe mit mir bereits zwei Mal verheiratet. Die erste Ehe schloss sich an eine Beziehung an, die seit den 80er Jahren lief und hielt so weit ich das rekonstruieren kann etwa fünf Jahre, die zweite Ehe ging er Mitte der 90er ein, sie hielt um einiges kürzer, wenn ich mich recht erinnere etwa anderthalb Jahre. Rückblickend denke ich, dass spätestens diese zweite Ehe schon stark von seiner Alkoholkrankheit geprägt war, wenn sie nicht sogar daran gescheitert ist. Ich habe beide Frauen kennen gelernt, er versuchte so lange ich das beobachten konnte immer, einen freundschaftlichen Umgang mit ihnen zu pflegen. Vielleicht hoffte er auf so etwas wie eine Absolution, ich hatte den Eindruck manchmal.

Das erste Jahr mit X liegt bei mir in recht verwaschener Erinnerung, ich war im Grunde wohl viel zu sehr mit Kind I beschäftigt, das als Baby unruhig und für mich nicht einfach zu handlen war. Es gab Konflikte um meine nach seinen Ansichten „zu treusorgende Art“, er war der Meinung, das Kind müsse abgehärtet werden während ich es am liebsten mit Aufmerksamkeit und Zuwendung überschüttet hätte.

Sein Trinkverhalten zu der Zeit habe ich als gemäßigt in Erinnerung, fürchte aber, dass er in Heimlichkeit weit mehr konsumierte als das, was ich erinnern kann. Damals schon auffällig war seine Haltung zu Medikamenten. Er pflegte immer eine innige Beziehung zu (s)einem Hausarzt, und regulierte seine Körperfunktionen oft über Medikamente: Schlafmittel zum Einschlafen, etwas für den Kreislauf am Morgen, etwas für den Magen am Mittag, Kopfschmerztabletten am Nachmittag usw.

Irgendwann zog ich dann mit ihm in eine gemeinsame Wohnung und war eigentlich im gleichen Moment schwanger mit Kind II. Es war rückblickend der Versuch, ein Idyll zu basteln: schöne Wohnung, für jeden ein Auto, die Firma, ein Hund wurde angeschafft. Die Schwangerschaft war sehr anstrengend und Konflikte brachen auf. Es kam immer wieder zu eisigen Streits die oft nach dem gleichen Muster verliefen: ich brachte ein (nicht materielles) Bedürfnis vor, er lehnte ab unter Verweis auf meine Unverschämtheit, ich verteidigte mich, er redete so lange auf mich ein bis ich klein bei gab. Manche Nacht durfte ich nicht im Ehebett schlafen und habe das als völlig angemessen betrachtet. Im Oktober des zweiten Jahres haben wir standesamtlich geheiratet, im November kam dann Kind II zur Welt.

Die Geburt verlief zügig um am Ende aber kompliziert zu werden. Die Schulterentwicklung gestaltete sich sehr schwierig, ein Arzt war hinzugerufen aber noch nicht anwesend und als die kindlichen Herztöne Anlass zur Sorge gaben wies mein Mann die Hebamme an, lieber das Kind sterben zu lassen als mich zu gefährden. Kinder könne man neue machen. Das Kindchen wurde dann aber glücklicherweise unversehrt geboren und erholte sich schnell, sodass ich am Morgen nach der Geburt die Klinik verlassen konnte.

Für den Abend des auffolgenden Tages hatte X dann Besuch zum Babygucken eingeladen. Ungeachtet meines Wunsches und Bedürfnisses nach Ruhe.

Er war sehr stolz und geizte auch in der folgenden Zeit nicht mit Hinweisen, wie ich meine Mutterrolle auszufüllen hatte um einen angemessenen Stammhalter zu erziehen.  Dankenswerterweise war Kind II ein sehr pflegeleichtes von permanent sonnigem Gemüt und robuster Gesundheit, was die Konflikte in dieser Anfangszeit sicher abgemildert hat.

Ich selbst war ca. eine Woche nach der Geburt wieder voll im Einsatz. Ich erinnere mich, nach weniger als zwei Wochen post partum wieder Bier für X eingekauft und kistenweise nachhause geschleppt zu haben.

X konnte zu Kind I nicht, und auch zu Kind II nicht wirklich nah kommen.

Er blieb distanziert, anweisend, der Versorger und Patriarch. Sein Alkoholkonsum nahm zu, insgesamt habe ich ihn aus dieser Zeit als gehetzt, fahrig und reizbar in Erinnerung. Wenn er seine Emotionen nicht an mir ausgelassen hat war in der Regel der arme Hund fällig, der nach einiger Zeit bedauerlicherweise und glücklicherweise zugleich im Tierheim landete weil mein X ihn zu einem beißenden und knurrenden Angstknäuel geprügelt hatte. Er war der Meinung, man müsse das Tier brechen, und eigentlich auch den Willen der Mitmenschen. Zumindest hat er das mehrfach geäußert. Genau wie den Eindruck, dass es auf der ganzen Welt nur Arschlöcher gebe, dass „da draußen Krieg sei“ und es auch nur Gewinner, den ersten Platz eben und Verlierer, alles ab dem zweiten Platz gebe.

Ich habe all diese Ansichten nicht geteilt und versucht, zu besänftigen. Ich hatte die Hoffnung, dass wenn ich nur gut, lieb, bemüht genug sei ich das alles ins Lot bringen könnte. Ich sah dieses ins-Lot-bringen als meine Aufgabe an und verrannte mich in dieser Aufgabe bis zur Selbstaufgabe und manches Mal vielleicht sogar darüber hinaus. Ich grüße an dieser Stelle M. Sie sitzt bestimmt mit ihm auf einer Wolke und die beiden stoßen mit einem Schoppen Roten darauf an, dass sie es hinter sich haben. Prost.

In dem Maß, wie die Entwicklung in der Partnerschaft voranschritt, dass ich versuchte mich zu emanzipieren (beispielsweise beruflich) und er diesen Wunsch verurteilte und ablehnte vermute ich, dass sich sein Suchtverhalten verschärft hat. Im Frühjahr des dritten Jahres fand ich im Büro unserer Wohnung viele kleine Schnapsflaschen, die in Schubkästen und Schränken versteckt waren. Einige Tage später fand ich  in den Seitenfächern seines Wagens weitere Schnapsflaschen. Rückblickend wundere ich mich, dass ich damals nie auf die Idee gekommen wäre gewagt hätte, ihn als Alkoholiker zu bezeichnen. Er trank zu viel und ich war auch sicher, dass das aggressive und aber oft auch regressive Verhalten und die Herrschsucht, die regelmäßigen emotionalen Zusammenbrüche, die er an den Tag legte zu einem guten Teil mit dem Alkohol zusammen hingen und ich habe das Thema absolut übervorsichtig gelegentlich angeschnitten. Dann brach aber regelmäßig ein Unheil los, das ich nicht ertragen konnte und ich fügte mich in meine Rolle als treusorgende Gattin und machte meine Arbeit, wie mir das auch deutlich aufgetragen wurde. Allmählich bekam ich es aber immer öfter mit der schieren Angst zu tun. Er wurde auch körperlich aggressiv, ich pendelte zwischen übermäßigem Fleiß und Depression. Ich überredete ihn zu einer Paartherapie, nach einigen Sitzungen war ich an dem Punkt, mich trennen zu wollen.

In der Trennungsphase hat er massiv versucht, mich einzuschüchtern, es gab auch wieder gewaltsame Übergriffe. Er bedrohte mich zum einen damit, sich selbst etwas anzutun, betonte seine Abhängigkeit von mir, zum Anderen erinnere ich mich aber auch, dass er das Zimmer, das ich mir um meinen „ehelichen Pflichten“ zu entgehen als kleinen Schutzraum für die Nacht erkämpft hatte eines nachts „durch die geschlossene Türe betreten hat“, weil er das Gefühl hatte unbedingt mit mir reden zu wollen, ich das aber ablehnte und schlafen gegangen war. Es muss ihm keine Ruhe gelassen haben, und etwa eine Stunde nach dem Zubettgehen trat er die Tür ein und stellte mich zur Rede. Das war im Winter des dritten Jahres, im Mai des vierten Jahres bin ich dann aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Er gab sich vordergründig kommunikativ und kompromissbereit.

Bei einer Gelegenheit da ich ihm die Kinder ans Auto brachte beobachtete mich eine Nachbarin. Sie sprach mit danach an, ob es nicht besser gewesen sei, sie hätte sich eingemischt oder wenigstens zu erkennen gegeben, dass sie uns beobachtet. Er hätte auf sie so aggressiv-bedrängend gewirkt, und ich völlig verschüchtert.

X war einerseits aggressiv, angriffsfreudig und herausfordernd, andererseits erinnere ich mich aber auch daran, dass er sich mit den Kindern zu den Besuchswochenenden völlig überfordert fühlte. Er rief oft an, um von mir zu erfragen, was er tun solle wenn ein Kind nicht schlafen konnte oder ähnliches.  Auch versuchte er, mich als eine Art intime Vertraute zu installieren, was zu meinem Wunsch mich abzulösen nun gar nicht passte. Er verhielt sich stark manipulativ, rief beispielsweise nachts bei mir an und weinte fürchterlich. Einmal informierte er mich nachts, dass er die Treppe herunter gestürzt sei und nicht mehr ins Bett zurück könne. Ich sollte von F nach G fahren (rund  eine Stunde Fahrtzeit) und ihm ins Bett helfen. Ich habe das abgelehnt und ihm geraten, einen Arzt oder die Sanitäter zu rufen. Angeblich hat er sich dann doch alleine ins Bett geschleppt und am nächsten Tag den Hausarzt aufgesucht, der einen Wirbelbruch diagnostiziert haben soll. Eine Woche später war X allerdings wieder voll einsatzfähig.

Einige Zeit lief die Trennung relativ „problemlos“, die Übergriffe ebbten auch aufgrund der räumlichen Distanz ab. Mein Exmann lernte damals über eine Partnervermittlung seine neue Partnerin und spätere vierte Ehefrau kennen.

G war eine Studentin der BWL aus einem anderen Land, die ein vitales Interesse daran hatte, ein Bleiberecht für die Zeit nach dem Studium zu erwerben. Im Frühjahr nach meinem Auszug erklärte er mir, dass er nun mit G in einer Partnerschaft wäre und heiratete sie zwei Wochen nach meiner Scheidung von ihm.

Ab dem Moment, da er mit G verheiratet war ebbte sein Interesse an Besuchskontakten mit den Kindern ab. Er hatte immer seltener Zeit und Lust, es gab im sechsten Jahr dann eine etwa halbjährige Phase, in der er die Kinder beide gar nicht gesehen hat. Im November des sechsten Jahres gab es dann einen Besuch von Kind II bei X und seiner neuen Frau. Als Kind II wieder da war berichtete es mir, dass es so lange nicht zum Papa gekonnt hatte weil G schwanger sei und Ruhe bräuchte.

Das Kind wurde vier Wochen später geboren. Die Schwangerschaft war also bis zum letzten Moment nach außen nicht kommuniziert worden.

Während der Ehe besuchten die Kinder X und seine neue Frau relativ regelmäßig etwa ein Mal im Monat für ein Wochenende. An Veranstaltungen, die Kind II betrafen wie etwa die Einschulung oder Elternabende nahm X nicht teil.

Von außen betrachtet muss ich rückblickend sagen, dass die Ehe mit seiner vierten Frau  in den ersten ein, zwei Jahren ruhig zu verlaufen erschien. Die Firma schien zu laufen, es war ruhig, zumindest bekam ich nicht mit, dass Kind I oder auch Kind II bei ihren Besuchen mit Auseinandersetzungen konfrontiert gewesen wären. Im achten Jahr zog ich aus F nach N; X gab sein Einverständnis, die Besuchskontakte wurden sukzessive immer seltener, etwa vierteljährlich. Ich mutmaße, dass die Ehe mit G zu diesem Zeitpunkt in Auflösung begriffen war, X aber noch das Gefühl hatte, die Situation „im Griff“ behalten zu können.

Im neunten Jahr gab er mir gegenüber dann bekannt, dass es mit G schwierig sei, sie sich trennen und ihn zerstören wollte. Es folgte ein Rosenkrieg, wie er unschöner kaum hätte sein können: X besaß zeitlebens Schusswaffen, und von meinen Erlebnissen mit X auf G schließend kann ich gut nachvollziehen, dass sie zu einem Zeitpunkt so verängstigt war, dass sie die Polizei informiert hat und angestoßen, dass man zumindest die illegalen Waffen wegnimmt und die Besitzberechtigung für die legalen Anteile der Sammlung überprüft. Es folgten wohl mehrere Polizeieinsätze, körperliche Auseinandersetzungen etc., und natürlich die Wegnahme sämtlicher auffindbarer Schusswaffen und Entzug der Besitzkarten.

Schließlich zog G mit Hilfe ihrer Mutter aus und nahm das gemeinsame Kind mit. X verweigerte beispielsweise seine Zustimmung zu einem Verwandschaftsbesuch der beiden in der Heimat von G, und es begannen heftige Auseinandersetzungen. Ich nehme an, sehr ähnlich denen, die ich mit ihm auch geführt habe. X war zu diesem Zeitpunkt sehr mitgenommen. Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch in seiner Wohnung im Herbst des neunten Jahres und nach dem Auszug von G. Damals lag er bei meiner Ankunft (ich brachte Kind II für ein Besuchswochenende vorbei) sehr dösig auf dem Sofa. Ich nehme an, schwer betrunken. Ich hatte nicht die Kraft, Kind II wieder mitzunehmen, auch wenn es zweifelsohne keine falsche Entscheidung gewesen wäre. Ich verließ die Wohnung schockiert.

Es gab in dieser Phase dann auch eine neue Partnerin, das habe ich aber nur am Rande über Kind II mitbekommen. Und bei den Telefonaten, weil das Kind dieser Frau im Hintergrund immer fürchterlich kreischte.

Zwischen G und  X muss die Situation in der Folgezeit weiter eskaliert sein.

Er war nachgerade panisch und wandte sich in dieser Zeit oft an mich, um sich telefonisch Trost und Bestätigung zu holen und seine Version der Geschichte zu erzählen.

Nach seinem Tod habe ich mich mit G über diese Zeit unterhalten. Sie schilderte, dass er in einem furchtbaren Zustand gewesen sein muss: Stark trinkend, teilweise bis zum völligen Kontrollverlust. Er muss sich mit Medikamenten und Alkohol regelmäßig derart zugedröhnt haben, dass er seine Körperausscheidungen nicht mehr halten konnte. Ich kann nur mutmaßen, was meine Kinder und das andere Kind in dieser Zeit alles sehen und erleben mussten. Es verursacht mir Brechreiz.

G hat nach ihrem Auszug beim Betreuungsgericht eine Überprüfung von X angeregt. Angeblich hat er ihr gegenüber eingeräumt, sich nicht mehr in der Lage zu sehen seine finanziellen Angelegenheiten zu regeln und sie gebeten, im Falle eines Falles seine Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Er wurde begutachtet und das Verfahren eingestellt: Alles in Ordnung, kein Handlungsbedarf.

Sie hat auch nach der Trennung die Besuchs- und auch Telefonkontakte mit dem gemeinsamen Kind unterbunden. X war wohl zu diesem Moment schon nicht mehr in der Lage, sich dem entgegen zu stellen. Wie klug von ihr. Wie unklug von mir, es nicht zu tun. Wie scheiße, das sich beim ersten Kind die Erfahrung gemacht habe, Umgang und Kontakt egal unter welchen beschissenen Umständen zu ermöglichen und zu fördern. Nein, liebe gemeinsame-Sorge-als-Regelfall-Prediger, liebe das-Kind-braucht-immer-beide-Eltern-Prediger. Manchmal ist es anders besser. Man muss hinsehen. Und einsehen, dass manchmal nichts zu retten ist. Auch Sozialpädagogen müssen das. Auch Jugendämter und Familiengerichte. Und nach dem Hinsehen und Einsehen dann auch zugeben und entsprechend handeln.

Es passt auch, dass er seit Anfang des zehnten Jahres  keine Auskünfte zu seiner wirtschaftlichen Situation an das Jugendamt übermittelt hat, trotz mehrfacher Aufforderung und Beitreibungsversuchen von deren Seite.

Ich selbst habe besonders im zehnten und elften Jahr wiederholt Beratung beim Jugendamt/Sozialpsychiatrischen Dienst, etc. in Anspruch genommen weil ich mich der Situation mit X alleine nicht mehr gewachsen sah. Leider habe ich von dort auch nur gehört, dass man da nichts machen könne und ich die Sache auf gut deutsch nicht so eng sehen solle. Nachdem ich mit dem Vater von Kind I nicht unähnliche Erfahrungen gemacht habe und mir sogar Zwangsgeld angedroht wurde falls ich den Umgang von Kind I und seinem Vater nicht unterstütze, weil es schier unmöglich war nachzuweisen oder wenigstens glaubhaft zu vermitteln, dass der Kontakt mehr schadet als nutzt habe ich wie bei Kind I auch die Kontakte gepflegt, gefördert und irgendwie versucht, gedeihlich zu gestalten obwohl ich einer gänzlich anderen Überzeugung war. Ich habe Telefonate ermöglicht, ich habe ihn ermuntert, sein Kind zu besuchen (es zu ihm zu lassen habe ich mich nicht mehr getraut) und versucht, sozusagen den Deckel auf der Situation zu halten.

Mitte des elften Jahres war dann seine Trunkenheitsfahrt, er wurde mit 110 km/h zu hoher Geschwindigkeit in einer Baustelle geblitzt. Nach versuchter Fahrerflucht wurde X von der Polizei zuhause aufgegriffen und wenn ich mich recht erinnere hatte er einen Blutalkoholgehalt von 2,3 Promille. Seinen Führerschein war er damit natürlich los, und damit auch einen elementaren Faktor der Geldbeschaffung: ohne Führerschein kein Außendienst, ohne Außendienst kein Geld.

Er beteuerte seine Besserungsabsicht, rechtfertigte sich, und ich setzte ihm das erste Mal etwas entgegen indem ich Besuchskontakte aussetze und das Jugendamt einschaltete und den Unterhalt, der seit Anfang des elften Jahres nicht mehr gezahlt wurde einzutreiben versuchte. Abgesehen davon, dass keine Besuchskontakte bis auf den letzten im Dezember des elften Jahres mehr stattfanden war ich mit meinen Unternehmungen aber vollkommen erfolglos.

Er selbst begab sich im Sommer zuerst in stationären Entzug, und dann in eine Klinik. Von dort aus rief er immer wieder an, um seine Fortschritte zu schildern, verschwand dann aber für einige Wochen, tauchte wieder auf, etc.

Nach seinem Tod habe ich erfahren, dass er aus der Klinik entlassen wurde weil er mehrfach alkoholisiert gewesen sein muss. Sein Kind hat in dieser Zeit versucht, ihn zu unterstützen indem sie „ein gutes Kind“ ist. Ein gigantischer Kraftakt, der in meinen Augen scheitern musste. Wie soll das Kind denn seinen Vater retten? Nichts anderes hat er im übertragenen Sinn wohl von ihm gewünscht. Er hat ganz klar Bedürfnisse und Ansprüche geäußert, Erwartungshaltungen formuliert: „Du musst in der Schule gut sein, damit Papa einen Grund hat sich zu freuen/Mein Fleisch und Blut hat doch mehr drauf als Hauptschule/Streng dich an, man muss etwas nur wollen, dann schafft man es auch“ sind Sätze, die ich gut erinnere, weil sie mir das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Bei seinem Kind habe ich in den letzten beiden Jahren einen steilen Leistungs- und Motivationsabfall in Schule und Privatleben beobachtet, wir waren wohl beide jede auf ihre Art der Verzweiflung nahe.

Endgültig bewusst, wie schlimm und für mich aber auch unlösbar die Situation ist habe ich erst in den Jahren zehn und elf im Zuge der Begebenheiten um seine Trunkenheitsfahrt, den Anruf bei mir in dem er von seinen Dinosauriergenen berichtete und meinen in diesen Ereignissen begründeten Interventionsversuchen. Das Kind hat mich in dieser Zeit verzweifelt-aktionistisch erlebt, aber eben auch sehr machtlos.

Der letzte Geburtstag, für dem er angekündigt hatte, sein Kind zu besuchen war ein Fiasko. Es brauchte drei Tage, bis er hier auftauchte, was dann geschehen ist spottet jeder Beschreibung. Er war nach zehn Minuten wieder weg, dafür haben wir hier mit drei Tagen Agonie und Verzweiflung bezahlt.

Die letzten vier Jahre seines Lebens waren auch Jahre der körperlichen Gebrechen. X hat eigentlich sämtliche Alkohol-Folgeerkrankungen präsentiert, die man in jedem Lehrbuch beschrieben findet. Allen acht Gallengang-Stents wurden gelegt, die letzten jeweils mit erheblichen Komplikationen, was Kind II natürlich jedes Mal wenn Papa im Krankenhaus war in helle Aufregung und Sorge versetzt hat.

Bei Telefonaten mit den behandelnden Ärzten der Kliniken in denen er aufgenommen war berichtete einer der Ärzte, dass letzten Endes  auch eine irreversible Gehirnschädigung durch den Alkoholmissbrauch vorgelegen haben muss. Die genaue Todesursache wird aber wohl im Dunklen bleiben, da ich als Exfrau von der Polizei dazu keine Aussage zu erwarten habe.”

 

 

 

Und jetzt geh ich kotzen.

 

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 10